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Beiträge von Jens Semrau, Dr. phil. Kunstwissenschaftler in Berlin


Begegnungen und Wertschätzung

 

Als Student nutzte ich von 1972 an die Möglichkeit, im Podewil-Palais in der Berliner Klosterstraße in mehreren Kursen (damals sagte man 'Zirkel') zu zeichnen und keramisch bzw. auch bildnerisch zu arbeiten. Eine der Ansprechpersonen war im ersten Jahr Lutz Holland. Er wollte etwas vermitteln, wogegen ansonsten jeder selber bestimmen konnte, was er machen will – ich wollte Gefäße aufbauen und eher technische Hilfen. Nach meiner Erinnerung versuchte Holland zu lenken und Aufgaben zu stellen, vielleicht zu verunsichern, indem er meinte, man sollte doch mal anders herangehen. Ich wusste nicht, was er wollte. Es gab Spannungen mit einer anderen Gruppe, etwa wenn es im Brennofen Bruch gab usw. Diese andere Gruppe betreute Renate Schamal, eine noble Frau, von der mir über Lutz Holland gesagt wurde, er wäre „unzweifelhaft ein guter Mann – künstlerisch gut“. Trotzdem war er nach einem Jahr nicht mehr da. In Ausstellungen sah ich damals auch keine Arbeiten von ihm. Fünf Jahre später hatte sich das geändert. Als in Magdeburg eine eigene Sammlung für DDR-Plastik begründet wurde und ich meine erste Stelle dort antrat, wurde ich 1977 auch zu Holland geschickt und holte Bronzearbeiten von ihm nach Magdeburg. Er vermittelte außerdem Ankäufe für seinen verstorbenen Lehrer Karl Müller. Die Halle-Giebichensteiner Bildhauer hatten quasi Hausrecht in Magdeburg, aber Müller und Holland scherten aus der Hallenser Tradition aus, die sich auf Gerhard Marcks berief. Lutz Holland verstand sich immer als Giebichensteiner, er sprach voller Respekt von Lichtenfeld als einem seiner Lehrer und berichtete einmal stolz, der alte Weidanz habe ihm zu seiner Abschlussfigur (1960, Foto auf der Website hier) gesagt: 'Das ist es ja, was wir immer wollten.'

Die besondere spirituelle Qualität der Bronzen von Lutz Holland wurde mir im Kontext der Magdeburger Sammlung deutlich. Dass ich diese meine Auffassung bei einer Zusammenkunft von Berliner Bildhauern 1984 vertreten habe, brachte mir sein Wohlwollen ein. Es ergab sich ein freundschaftliches Verhältnis, ich besuchte ihn in seiner Werkstatt in der Hochschule und 1986 veröffentlichte ich einen Text über ihn. Er steuerte die Fotos bei und veranlasste selber fast gleichzeitig einen Wiederabdruck in der Zeitschrift 'Uhren und Schmuck'. Dort in diesen Gewerken war er also auch präsent und sicherlich ebenso wie unter den Bildhauern eine Ausnahmeerscheinung mit seinen Preziosen, die sowohl handwerklich wie künstlerisch spirituell gemeint waren - eine eigenwillige Verbindung von Handwerksethos und Künstlerschaft in einem romantischen Sinn. Etwa 25 Jahre war er Lehrkraft an der Kunsthochschule Weißensee, wo wir in den 90er Jahren Kollegen wurden, als ich dort durch eigene Lehraufträge zu tun hatte. Bei einer Aufnahmeprüfung um 1995 meinte ein Bewerber ganz klug, eine Schwierigkeit sei heute schon die Orientierung. Lutz Hollands Reaktion war: „Es geht immer noch um die Erzengelherrschaft.“ Er war sich dessen bewusst, dass er damit allein stand und wollte es so. Sicherlich spielte er auch mit dieser Außenseiterrolle, was oft (nicht immer) amüsant war. Er wurde auf jeden Fall ernst genommen, er war glaubhaft für Bildhauerkollegen und für Studenten, wenn auch nicht für alle und jeden. Er hatte im besten Sinne Schüler, die bekennen, was sie bei ihm gelernt haben.

Jens Semrau, 2021

Lutz Holland

Jens Semrau, Berlin

Zum Guten, zum Erfreuenden und Erfreulichen gehören stets wieder die Arbeiten von Lutz Holland   —  wo immer sie auftauchen. Ihre bildnerische Phantastik besticht durch Facettenreichtum und zugleich Sicherheit, Klarheit der Gestaltungsabsichten und -möglichkeiten. Lutz Holland ist in der glücklichen Lage, auf einer klaren Vorstellung mit einer Vielfalt eigentümlicher und spielerisch subjektiver Ideen aufbauen zu können. Diese Gewissheit über Mittel und Wege ist erarbeitet, sie beruht zugleich auf dem Bewusstsein einer reichen Tradition und auf seiner handwerklichen Orientierung, seinem Herkommen von der Metallbearbeitung und Goldschmiedekunst. Am dort ausgeprägten Grundcharakter des Dinglichen hält Holland fest, das ermöglicht ihm, durch plastische Form und gegenständlich-allegorische Formulierungen Bedeutung herzustellen, ohne die Widerspiegelungsproblematik jeweils neu lösen  zu müssen. Die  übersubjektive Abgelöstheit von der Realität ist bei seinen Werken natürliche Voraussetzung wie bei den „Alten". Natürlich ist dies eine Außenseiterposition — und zwar eine sehr fruchtbare.

Wenn von der Tradition deutscher Plastik gesprochen wird, ist heute meist die rationale tektonisierend-architektonische Auffassung gemeint, die sich auf Hildebrandt, auf  den hundert Jahre zurückliegenden Neuansatz der Bildhauerei oder auch noch auf den Berliner Klassizismus beruft. Die weiter ausgreifende Kunstgeschichte hat noch anderes als charakteristisch für die deutsche Kunst bestimmt: den „Sinn des Deutschen für die sorgfältige, selbst pedantische Arbeit an Gegenständen und Gerät, überhaupt an allem Dinglichen“[1]. Dies zeige sich in ältester Zeit an Fibeln, Ringen, Halsketten, Kronen, am kirchlichen Gerät des Mittelalters und seiner Buch- und Miniaturmalerei, aber auch — neben anderen Charakterzügen — bei Dürer, Cranach als kläubelige Behandlung der Form; es habe zu tun mit einer Neigung zum Absonderlichen, Verkünstelten und weiterhin zur „Hand-Werklichkeit und Hand-Fertigkeit …. Technik, Genauigkeit, Sorgfalt, bis zum Minutiösen und Künstlichen gesteigerten Kunstfertigkeit ..." [2]. Für Holland ist diese Gesinnung und ihr historischer Fundus lebendige Tradition. Er versteht sie modern im Sinne werkkünstlerischer Orientierung, insofern sein Interesse von diesem historischen Fundus und dessen geistigen Voraussetzungen bis zu den mechanischen Finessen neuzeitlicher Technik, etwa im   Flugzeugbau, reicht. Die werkkünstlerische Gesinnung und Orientierung hat sich in diesem Jahrhundert — zunächst auf breitester Grundlage —  erneuert; sie ist über den Einfluss des Bauhauses in das ursprüngliche Programm der jetzigen Kunsthochschule Burg Giebichenstein eingeflossen und bestimmte Hollands Ausbildung an der Burg von 1954 bis 1960. Er ist dem treu geblieben. Besonders verbunden ist er seinem Giebichensteiner Lehrer Karl Müller (1888-1972, Lehrauftrag für die Metallklasse der Burg von 1923 bis 1972); Müllers Kunstgesinnung wurde ihm tragfähige Grundlage und Anknüpfungspunkt. Seit 20 Jahren in Berlin, seit über 10 Jahren an der Kunsthochschule Berlin-Weieensee tätig, versteht er sich noch heute halb als Giebichensteiner und nimmt zu Recht für sich in Anspruch, Vertreter eines grundlegenden Aspektes aus dem ursprünglichen Programm dieser Kunstschule zu sein.

Lutz Hollands Arbeiten gehen phantasievoll sinnierend der geistigen und baulichen Qualität, dem Gedacht-, Gefügt- und Gewachsensein des ihn Umgebenden nach. Er verbindet gegenständliche Kleinbildnerei mit symbolisch-allegorischen Bedeutungshinweisen sowie mit einem das Dingliche unterstreichenden Schmuckreichtum und menschenbildschaffenden Absichten. Mit deutlichem Verwandtschaftsbezug auf mittelalterliche Kunstgesinnungen und Werkformen verwirklicht er die Einheit und Durchdringung verschiedener künstlerischer Möglichkeiten und Anforderungen: Materialgerechtheit und Schmuckbedürfnis, Transparenz des handwerklichen Vorgehens, Klarheit und  Strenge der Formensprache, allegorische Vielsinnigkeit, Eleganz und Perfektion der Ausführung. In all dem ist ihm hohe Konsequenz zuzubilligen. Hollands feinsinniges plastisches Formenleben und -gestalten tritt manchmal — vielleicht auch auf den ersten Blick — zurück hinter   das Erstaunliche seiner Motive und die durch Schmuck und Zierat betonte Aura der Merkwürdigkeit. Seine Motiv- und Formenwelt hat er immer wieder zu variieren gewusst, ohne formelhaft zu werden. Ein breites Spektrum von der Freiplastik über Büsten, Köpfe zu Leuchterfiguren, Kelche, Glocken ist konstruktiv gedacht  und plastisch sublim gestaltet. [...] Hollands Arbeiten sind von verklärender Freude am Gestalten getragen, das ist eine beinahe schon selten gewordene künstlerische Haltung. [...]

Es gibt für ihn keine Trennung zwischen Kopf- und Handarbeit, zwischen Kunst und Handwerk, keine medialen Schranken. Er ist hellwacher Zeitgenosse und ganz und gar Künstler, also ein vorindustriell Schaffender, woraus die Konsequenz der Originalität und Sublimität des Werkes folgt. Vorindustrielle, künstlerische und handwerkliche Produktivität erweist sich auch hier als mehr  denn nur frühes Entwicklungsstadium oder dessen  Relikt, sondern als kultureller Selbstwert.

Holland versteht sich als überwiegend angewandt arbeitender Künstler; dies gibt ihm Sicherheit im Wollen und Tun. Aber hier werden  die Kategorien fraglich: seine Arbeit ist (relativ) zweckfrei wie schon die Goldschmiedekunst, sie schert aus dem tradiert verengten Kunstbegriff und seinen Genres aus und macht damit nur dessen tatsächliche Spannweite deutlich. Für mich ist Lutz Holland ein wunderbarer und ein moderner Mann unserer Kunst.

(1) Theodor Hetzer: Dürers deutsche Form. In, Theodor Hetzer, Aufsätze und Vorträge II, Leipzig 1957. S. 17

[2] ebenda

In:  Zeitschrift  Bildende Kunst Heft 10 Berlin 1986,

Nachdruck in:  Zeitschrift Uhren und Schmuck, Heft 2, Berlin 1987